Blog Series: Human Rights during the COVID-19 pandemic - Voice of a person concerned

The following blog post is available in German and English. Please scroll down to read the German version. Der folgende Blogbeitrag ist auf Deutsch und Englisch verfügbar. Bitte scrollen Sie nach unten, um die deutsche Version zu lesen.

Geschlossene Institutionen waren es bislang nicht gewohnt, mit großflächigen Epidemien umzugehen. Ein Jahr nach Ausbruch der COVID-19 Pandemie kann festgestellt werden, dass die notwendigen Schutzmaßnahmen, wie Abstandhalten und strengere Hygienestandards in diesen Einrichtungen nur schwer einzuhalten und die untergebrachten Personen dadurch erheblichen Gesundheitsrisiken ausgesetzt sind. Folglich befinden sich Personen denen während der Pandemie die Freiheit entzogen wird in besonders vulnerablen Situationen, auch jene mit psychosozialen und intellektuellen Beeinträchtigungen.

Artikel 11 der UN-Behindertenrechtskonvention, welcher auch für Personen mit psychosozialen und intellektuellen Beeinträchtigungen in Justizanstalten Anwendung findet, legt fest, dass die Vertragsstaaten alle möglichen Maßnahmen setzen müssen, um im Zuge nationaler Strategien zur Bewältigung von Gefahrensituationen und humanitären Notlagen auch den Schutz und die Sicherheit von Personen mit psychosozialen und intellektuellen Beeinträchtigungen zu garantieren.

In vielen Ländern stellte mit Blick auf die Gefahr einer Ansteckung mit COVID-19 das Aussetzen von Besuchen eine solche Schutzmaßnahme dar. In Österreich erließ das Justizministerium nach Ausbruch der Corona-Pandemie im März 2020 eine Verordnung, welche Besuche von Angehörigen nicht erlaubte. Diese Verordnung wurde zwei Monate später angepasst, sodass Insass innen und untergebrachte Personen immer nur von einer Person auf einmal Besuch erhalten konnten. Um eine mögliche Übertragung von COVID-19 zu verhindern, trennte eine Plexiglas-Wand Besucher innen und untergebrachte Personen während des Besuchs. Zusätzlich wurden Einrichtungen dazu aufgerufen, die Nutzung von herkömmlichen und Video-Telefonaten aktiv anzuregen, um die starken Einschränkungen bei Besuchen zu kompensieren und es untergebrachten Personen zu ermöglichen, den Kontakt zu Angehörigen aufrechtzuerhalten.

Als weitere Präventionsmaßnahme, um den Ausbruch von COVID-19 in geschlossenen Institutionen zu verhindern, wurden Vollzugslockerungen (z.B. Aus- oder Freigänge) ausgesetzt oder auf ein Minimum reduziert. Allerdings ist die Bewältigung zunehmender Lockerungen des Freiheitsentzugs, wie zum Beispiel das Verlassen der Einrichtung für kurze oder längere Zeit, mit oder ohne Personal, eine Voraussetzung für eine bedingte Entlassung. Folglich reduziert ein Aussetzen von Vollzugslockerungen nicht nur die Möglichkeit der untergebrachten Personen sich auf die Re-integration nach der Entlassung vorzubereiten, sondern kann auch die Dauer des Freiheitsentzugs erheblich verlängern.

Um die Herausforderungen, denen Personen im Maßnahmenvollzug während der COVID-19 Pandemie gegenüber stehen, besser verstehen zu können, veröffentlichen wir den Bericht eines Untergebrachten, der sich während dieser Zeit im Maßnahmenvollzug befand. Betroffenen Personen eine Stimme zu geben stellt einen wichtigen Schritt dar, ihre Sichtweise zu verstehen und einen Beitrag zur Identifikation adäquater Strategien für den Umgang mit der aktuellen, aber auch mit zukünftige Pandemien zu leisten.
Dieser Beitrag ist Teil einer Blog Post Serie, welche sich mit der Situation von Personen im Maßnahmenvollzug während der COVID-19 Pandemie beschäftigt.


Im Maßnahmenvollzug während der Corona-Pandemie
Ich bin 43 Jahre alt und befinde mich seit 2012 im Maßnahmenvollzug. Ich bin noch immer in der gleichen Anstalt, in die ich nach der Einweisung gelangt bin. Auch ohne die Corona-Einschränkungen waren die Tage lange und trist. Es gab auch davor kaum Abwechslung und wenig, auf das ich mich hätte freuen können. Einzig die Arbeit in der Schlosserei und die seltenen Besuche meiner Eltern ließen mich durchhalten.

Mit dem Ausbruch von Corona kam als erstes die Angst. Isoliert in einer geschlossenen Einrichtung spürte ich, wie mir aufgrund der steigenden Zahlen langsam die Luft wegblieb. Ich betete, dass nicht einer der Justizbeamt*innen Corona mit in die Arbeit nehmen würde und wir dann alle angesteckt werden würden. Ich gehöre zwar nicht zur Risikogruppe, aber ich hörte auch von schwereren Verläufen bei jungen Menschen.

Die Informationen, die wir bekamen, waren hauptsächlich aus dem Fernsehen. Es gab bald einen Aushang auf der Abteilung, dass Videobesuche kommen sollten. Ich hatte damals meine Eltern schon lange nicht gesehen und war verzweifelt: sie haben weder einen Computer noch ein Smartphone. Wir telefonierten häufiger, denn ich machte mir natürlich große Sorgen, dass sie sich anstecken würden. Wenn meine Eltern nicht mehr wären, hätte ich niemanden mehr auf dieser Welt. Da das Telefonieren aus dem Gefängnis sehr teuer ist, und ich nur sehr wenig verdienen kann, blieb mir nichts anderes übrig als lange Briefe zu schreiben. Das ist aber nicht dasselbe wie ein persönliches Gespräch. Und es blieb die ganze Zeit die Angst, die Angst vor einer unsichtbaren Gefahr.

Dann wurden auch alle Therapien und Gespräche mit Sozialarbeiter *innen ausgesetzt. Die einzigen mit denen ich also noch sprechen konnte, waren andere Untergebrachte und die Justizwachebeamt *innen. Sie alle waren aber auch sehr gereizt durch diese Situation und ich zog mich immer mehr zurück. Ich hätte mir damals gewünscht, dass Anrufe an meine Angehörigen kostenlos wären. Stattdessen bekam ich mit, dass sogar denen die es könnten, nur sehr selten Videotelefonie angeboten wurde.

Nach Ende des ersten Lockdowns, war ein wenig Beruhigung spürbar - da sah ich meine Eltern ein paar Mal, auch wenn immer nur eine Person. Aber bald darauf kam es erneut zum Besuchsverbot. Mittlerweile habe ich mich mit der Situation abgefunden. Ich weiß, dass ich aus dem Maßnahmenvollzug ohnehin nur sehr schwer herauskommen kann; durch Corona verliere ich wieder mindestens ein Jahr. Niemand kann etwas für die Pandemie, aber man hätte mit mir anders umgehen können – auch wenn ich, und alle im Maßnahmenvollzug – von einem Großteil der Gesellschaft verachtet werden. Wir sind nur „abnorme Straftäter“, also wen kümmert‘s?

Und was bleibt, ist die Angst!

Autor: in Österreich untergebrachte Person (anonymisiert: Quelle ist dem Institut bekannt), März 2021


Dieser Blog Beitrag wurde von einer im Maßnahmenvollzug untergebrachten Person verfasst. Der Inhalt repräsentiert die individuellen Erfahrungen und Perspektive des Autors. Die im Beitrag vertretenen Meinungen, sind jene des Autors und reflektieren nicht die Ansichten, Ergebnisse oder Schlüsse des Projektes ‚Offene Forschung hinter verschlossenen Türen‘.